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Zwischen Tundra und borealem Wald liegt ein botanischer Schatz: In den Northwest Territories blüht ein kurzer, intensiver Sommer auf – mit Pflanzen, die mehr als nur schön sind. Sie erzählen Geschichten von Überleben, Heilkunst und kultureller Verbundenheit.

Ob beim Wandern durch die sommerliche Tundra, beim Paddeln auf wilden Flüssen oder auf ausgedehnten Trails durch den borealen Wald – die Northwest Territories offenbaren ein faszinierendes Mosaik aus Farben, Formen und Düften. Tausende Wildblumen blühen hier in leuchtender Pracht – ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der kurze arktische Sommer verlangt Eile beim Blühen, Bestäuben und Aussamen.

Die folgende Auswahl zeigt einige der spannendsten Wildpflanzen der Region – geschätzt nicht nur für ihre Schönheit, sondern auch für ihre zentrale Rolle in den Traditionen der indigenen Völker, etwa als Nahrung, Heilmittel oder Werkstoff. Wer mit offenen Augen reist, wird erkennen: Diese Pflanzen erzählen Geschichten, spenden Leben – und sind echte Schätze des Nordens.

Arktisches Wollgras

Sauergräser-Familie (Eriophorum spp)

Diese zarten Seggen mit ihren watteweichen Blütenköpfen wachsen bevorzugt in feuchten Tundragebieten. Der Wind trägt ihre Samen über weite Distanzen. Für Inuit-Gemeinschaften war das Wollgras essenziell: Die feinen Fasern dienten als Docht im traditionellen Ölsteinlämpchen Kudlik.

Arktisches Wollgras vor blauem Himmel
Arktisches Wollgras - Credit: Hans Pfaff & NWTT

 

Fichten

Kiefern-Familie (Picea mariana und Picea glauca)

Fichten sind charakteristisch für die borealen Wälder und gehören zu den markantesten Bäumen des Nordens. Zwei Arten sind besonders häufig in den Northwest Territories anzutreffen – die Schwarzfichte mit ihrer säulenförmigen Gestalt, die feuchte Böden bevorzugt, und die Weißfichte, die auf trockenerem Boden mit pyramidenförmigem Wuchs gedeiht. Die indigenen Völker nutzen Fichten vielseitig: als Feuerholz, Baumaterial, für Kanus, medizinische Salbe oder Tee aus jungen Trieben – perfekt für kalte Nächte unter dem Nordlicht.

Viele kleine Fichtenspitzen
Fichtenspitzen - Credit: dancingsun on Instagram

 

Wacholder

Kiefern-Familie (Juniperus communis, Juniperus horizontalis)

Oft bodennah wachsend, erkennt man Wacholder an seinen bläulichen Zapfen, die wie Beeren aussehen. Dicht gedrungene Pflanzenteppuche breiten sich an Felsvorsprüngen und Lichtungen aus. Die Gwich’in und Inuvialuit nutzen Zweige und Nadeln für medizinische Aufgüsse und heilenden Tees – etwa zur Inhalation oder bei Erkältungen.

 

Wildrose

Rosen-Familie (Rosa acicularis, Rosa strigosa)

Im Juni und Juli schmücken rosa Blüten Straßenränder und Flussufer. Die roten Hagebutten sind Vitamin-C-reich. Dene-Völker verwenden junge Triebe als Gemüse, Blüten für Augentropfen oder als Mittel gegen Hautausschläge, Hagebutten für Tee oder Marmelade.

Rosa Wildrose vor grünen Blättern im Hintergrund
Wildrose in Fort Smith - Credit: Hannah Eden & NWTT

 

Alpen-Kuhschelle

Rosen-Familie (Dryas integrifolia, Dryas octopetala)

Die Nationalblume der Northwest Territories gedeiht auf gut entwässerten Kiesrücken, Felsen und Sanddünen. Ihre weißen Blüten richten sich zur Sonne aus. Inuit nutzten den Blühverlauf zur Vorhersage der Karibu-Wanderungen – ein Beispiel für naturbasiertes Wissen.

Weiße Alpen-Kuhschelle
Alpen-Kuhschelle in der North Slave Region - Credit: Page Burt

 

Feuerkraut

Nachtkerzengewächs-Familie (Chamaenerion angustifolium, Chamaenerion latifolium)

Besonders auf ehemaligen Brandflächen zu finden, ist dieses magentafarbene Blütenwunder nicht zu übersehen. Die kleinwüchsige Variante wächst entlang von Flussufern. Blüten und junge Blätter dienten den Indigenen als vitaminreiche Nahrung.

Das Feuerkraut spielt auch eine bedeutende Rolle für Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge, da seine Blüten reichlich Nektar liefern. Besonders in nördlichen Regionen, wo andere Blütenpflanzen seltener sind, trägt das Feuerkraut entscheidend zur Erhaltung von Ökosystemen bei. Darüber hinaus wird es in einigen Kulturen fermentiert und zu einem Kräutertee verarbeitet, der als „Ivan-Tee“ bekannt ist und für seine beruhigenden Eigenschaften geschätzt wird. Mit seiner Anpassungsfähigkeit und Vielseitigkeit ist das Feuerkraut ein echtes Juwel der Wildpflanzenwelt. 

Leuchtendes Feuerkraut vor blauem Himmel mit ein paar Schönwetterwolken
Feuerkraut - Credit: Hans Pfaff & NWTT

 

Preiselbeere

Heide-Familie (Vaccinium vitis-idaea)

Diese robuste Moorpflanze trägt im Herbst leuchtend rote Früchte, die unter Schnee überwintern. Der Strauch ist im gesamten borealen Wald bis hin zur Tundra verbreitet und wächst an Hängen. Beeren und Blätter dienen nicht nur dem Menschen als Nahrung und Medizin, sondern auch Vögeln, Füchsen und Bären.

Nahaufnahme von Preiselbeeren am Busch
Preiselberren in den Mackenzie Mountains - Credit: J.F. Bergeron & NWTT

 

Bärentraube

Heide-Familie (Arctous alpina, Arctous rubra, Arctostaphylos uva-ursi)

Im Spätsommer färben sich die Tundren in Rot- und Orangetönen – ein Geschenk der Bärentraube. Ihre Früchte wurden getrocknet, mit Fleisch und Fett gemischt und als nahrhaftes Reiseproviant – Pemmikan – genutzt. Blätter fanden rituelle Verwendung, z. B. als Rauchwerk.

Rote Blätter der Bärentraube
Bärentraube in den Mackenzie Mountains - Credit: J.F. Bergeron & NWTT

 

Schafgarbe

Korbblütler (Achillea millefolium)

Diese Heilpflanze mit fein gefiederten Blättern und weißen Dolden wurde seit jeher gegen Husten, Nasenbluten oder Hautprobleme eingesetzt. Auch heute wird der Blütenbrei manchmal bei Insektenstichen verwendet.

 

Krähenbeere

Heidekrautgewächs (Empetrum nigrum)

Die Krähenbeere ist ein Grundnahrungsmittel in vielen Inuit-Gemeinschaften. Die schwarzen Beeren wachsen auf sandigen oder felsigen Böden. Bereits kurz nach der Schneeschmelze beginnt die Blüte, im Spätsommer reifen dann die vitaminreichen Früchte, die heutzutage oft mit rakelartigen Schaufeln gepflückt werden. Möwen, Zuggänse und Kraniche, aber auch Füchse, Erdhörnchen und andere kleinere Säugetiere ernähren sich eifrig von dieser Beere.

 

Moltebeere

Rosen-Familie (Rubus chamaemorus)

Diese rare Delikatesse gedeiht in moosigen Mooren. Die an Himbeeren erinnernden Beeren färben sich im Spätsommer orangegelb und sind süß und sahnig im Geschmack – am besten frisch genossen oder behutsam gesammelt.

orangefarbene Moltebeere mit grünen Blättern im Hintergrund
Moltebeere - Credit: Karli Zschogner

 

Weiden

Weidengewächs (Salix species)

Ob als kleiner Busch oder bis zu 9 Meter hoher Baum – Weiden sind im Norden allgegenwärtig. Sie lieferten nicht nur Brennstoff, sondern auch Material für Werkzeuge, Matten und Fischreusen. Die innere Rinde wurde traditionell als Nahrung und Heilmittel genutzt – sie enthält Salicin, den natürlichen Vorläufer der Acetylsalicylsäure, besser bekannt als Aspirin.

 

Mehr als nur Dekoration

Blätter und Blüten erzählen von jahrhundertealten Verbindungen zwischen Mensch und Natur – leise, aber eindrucksvoll. Die nordische Landschaft wird so zum lebendigen Archiv indigener Traditionen und ökologischer Vielfalt. Wer genau hinsieht, erkennt darin nicht nur ästhetische Schönheit, sondern auch tiefe Einsichten und eine stille Form der Achtsamkeit.

 

Hinweis: Dieser Artikel dient nur zur Information. Bitte Pflanzen stets sicher und vor dem Verwenden oder Verzehren bestimmen.